Gedenkveranstaltung im Roten Rathaus zum 100.Geburtstag Inge Deutschkrons
Inge Deutschkron hat den Nationalsozialismus nur überlebt, weil sie mit Unterstützung nicht-jüdischer Helfer:innen in Berlin untertauchen konnte. Nach dem Krieg lebte sie zunächst in England und später in Israel. Von dort aus arbeitete als streitbare Deutschland-Korrespondentin für eine Zeitung und musste mit ansehen, wie alte Nazis wieder in hohe Positionen kamen. Enttäuscht ging sie zurück nach Israel, zog aber später wieder in ihre Heimat Berlin. Ihr Leben lang kämpfte sie darum, dass weder die Gräuel des Nationalsozialismus noch die Helden, die unter Einsatz ihres eigenen Lebens Verfolgten halfen, in Vergessenheit gerieten. Sie erzählte ihre Geschichte in ihrer Biografie („Ich trug den gelben Stern“, erschienen 1992 bei dtv) in Medien und Schulen und wurde zu einer Mahnerin für Toleranz und Menschenwürde.
Die Regierende Bürgermeisterin von Berlin Franziska Giffey und der Präsident des Berliner Abgeordnetenhauses, Dennis Bucher, hatten zu einer Feierstunde für die Holocaust-Überlebende, Zeitzeugin und Autorin geladen. Unter den Gästen, darunter die früheren Regierenden Bürgermeister Walter Momper und Michael Müller, war die Semestergruppe FS II unseres Schulzentrums – eine große Ehre für unsere Schule.
Die Studierenden und die begleitenden Lehrkräfte erlebten eine bewegende Feierstunde, in der der Mahnerin gegen das Vergessen, die am 9. März 2022 verstarb, gedacht wurde.
Was für eine eindrucksvolle Persönlichkeit die Berliner Ehrenbürgerin war, zeigt das Medienecho: „Sie war ein großes Geschenk für unsere Stadt“ (Jüdische Allgemeine, 23.08.2022), „Unermüdliche Erzählerin gegen das Vergessen“ (Deutschlandfunk Kultur, Christine Habermalz, 09.03.2022) „Sie hatte 100 Ideen und gab nie auf.“ (André Schmitz, Jüdische Allgemeine, 25.08.2022), „Sangesfreudig, streitbar und links“ (Elisabeth Binder, Tagesspiegel, 07.04.2022), „Die Unbeugsame“ (Klaus Hillenbrand in der TAZ, 10.03.2023). Das Grips-Theater widmete ihr ein Theaterstück („Ab heute heißt Du Sara“ von Volker Ludwig und Detlef Michel).
Die enorme Präsenz der 1922 in Finsterwalde geborenen streitbaren Berlinerin zeigten Filmausschnitte, in denen die Geehrte selbst zu Wort kam.
Deutschkron schildert darin u.a., dass ihrer Mutter von einer Frau, die ihr später beim Untertauchen helfen sollte, ein Versprechen abgenommen wurde, obwohl sie noch gar nicht wusste, worum es ging. Die spätere Lebensretterin hatte von den Massenmorden an den Juden erfahren und rang Deutschkrons Mutter die Zusage ab, sich helfen zu lassen.
Die Regierende Bürgermeisterin würdigte Inge Deutschkron als bemerkenswerte Berlinerin. Ihr „Herzensanliegen“ sei es gewesen, dass der Holocaust und die Nazi-Diktatur niemals in Vergessenheit geraten dürfen. Sie habe ihre „Helferinnen und Helfer als stille Helden herausgestellt und sich für eine öffentliche Würdigung eingesetzt“. Ihr Erbe gelte es zu bewahren und fortzuentwickeln. Parlamentspräsident Buchner erklärte, dass jeder der 99 Geburtstage ein Sieg Deutschkrons über die Nationalsozialisten gewesen sei. Die Vehemenz und die Klarheit, mit der sie sich gegen Faschismus und Antisemitismus engagiert habe, würden in Berlin unvergessen bleiben. Die Festansprache hielt Prof. Dr. Johannes Tuchel, Leiter der Gedenkstätte Deutscher Widerstand und Mitglied des Vorstands der Inge-Deutschkron-Stiftung. Er entwarf ein pointiertes, aus den Quellen und dem Erleben erwachsenes Bild der Geehrten, das deren Größe und enorme Energie deutlich werden ließ. Einer der Höhepunkte der Gedenkfeier lag in dem musikalischen Beitrag der niederländischen Künstlerin Renee van Bavel. Sie trug selbst komponierte Lieder vor, die die Bedingungen des Rettens und Helfens reflektierten („Ein Mensch“, „Was nimmst Du mit?“, „Helden“). Es wird wohl kaum jemanden in dem großen Festsaal des Roten Rathauses gegeben haben, den diese künstlerische Darbietung nicht berührt hat.
BD & AvK, September 2022